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musée des matériaux | 5 Fragen an Sebastian Winkler

Dein neues Buch ist eine Werkübersicht deiner Arbeit der letzten 5 Jahre. Warum heißt es „musée des matériaux“?

In meinen installativen Arbeiten arrangiere und kombiniere ich verschiedene Materialien und Gegenstände, die ihrem ursprünglichen Verwendungszweck entzogen sind. Dabei gehe ich von den besonderen Eigenschaften und Strukturen des Materials aus und ordne es in einem neuen Kontext, ohne dass es seine ursprüngliche Wirkung verliert, aber doch in der individuellen Bedeutung changiert.

Der Begriff „musée des matériaux“ wurde für diese Vorgehensweise von Dr. Andreas Beitin neu geprägt und bezieht sich auf André Malraux‘s „Le musée imaginaire“. Nach subjektiven Gesichtspunkten wählte Malraux Abbildungen von Kunstwerken aus unterschiedlichsten Epochen und kombinierte sie in einem Buch als Museum neu. Die durch diese Dekontextualisierung und Neuordnung veränderte Wahrnehmung von etwas Bekanntem ist beiden konzeptuellen Vorgehen gemein.

Deine Werktitel geben dem Betrachter den Eindruck einer konkreten Geschichte zur jeweiligen Arbeit, da sie sehr narrativ sind. Liegen deinen Arbeiten tatsächlich konkrete Orte und Ereignisse zu Grunde?

Ausgangspunkt sind meist erlebte oder beobachtete Situationen. Diese sind sowohl von einem Ort geprägt, als auch den Menschen, deren Beziehung zueinander, ihren Gefühlen und dem persönlichen Umgang damit. In den Titeln wird das in einer sprachlich konkreten Form angedeutet, doch nie zu einer schlichten Erzählung, denn es sind Worte, die erst in Bezug zu den individuellen Erfahrungen jedes Einzelnen zu einer Geschichte werden. Ein Satz, wie „ich wollte das so nicht“ oder „dich habe ich vermisst“, bleibt in der Erinnerung an eine Situation vielleicht der präsenteste, verändert in der Rückschau aber seine emotionale Intensität, wird infrage gestellt oder bestätigt gefunden.

In meinen Textarbeiten, die parallel zu den Installationen entstehen, wird diese Umformung und Zerlegung der Worte zu Ende geführt. Manchmal wird der Text auf Transparentpapier Teil der Installation, oft der erste Satz zum Titel.

Das Materialität und gefundene Materialien eine große Bedeutung für deine Werke haben, ist nicht zu übersehen. Nach welchen Kriterien wählst du sie aus?

Die Auswahl an Materialien, die ich für meine Arbeiten heranziehe folgt im Kern zwei Interessen: Der im Material gespeicherten Bedeutung und der Möglichkeit, diese Teil einer abstrakten Setzung im Raum werden zu lassen.

So ist zum Beispiel der Schamottestein in seinen Grundmaßen Grundlage für gebaute Strukturen, bzw. topografische Anordnungen. Gleichzeitig schaffen Oberfläche und Verfärbungen ein eigenes, erzählerisches Moment.

Stoffe sind für mich in ihren sichtbaren und haptischen Eigenschaften, bedingt durch die Bindungsstruktur, aufs engste mit Menschen verbunden und werden von mir charakteristisch ausgewählt, arrangiert oder bearbeitet. Dass meine Großmutter Herrenschneiderin war und meine Urgroßmutter Schneiderin, ist sicher ein weiterer Grund für die intensive Beschäftigung mit diesem Material.

Auch gefundene Gegenstände, wie die Dauerdosen, erzählen eine eigene Geschichte. Wenn sie Bestandteil einer Installation werden, habe ich sie vorher gesucht.

Dabei ist wichtig, dass Auswahl und Form des Materials immer die Möglichkeit der individuellen Bezugnahme bewahren. So entsteht ein Repertoire, das sich langsam erweitert, doch immer erst dann, wenn es an Grenzen stößt.

Wie wichtig ist der Raum oder der Bezug zum Raum für deine Arbeit? Werden deine Installationen immer wieder neu inszeniert oder lassen sie sich in jedem beliebigen Raum auf gleiche Weise zeigen?

Die Setzung einer Arbeit im Raum, ob als Boden- oder Wandinstallation ist immanent für deren Wirkung. Meine Installationen sind hinsichtlich des Materials sehr genau geplant. Dabei kann es aber in der Ausrichtung und im Format durchaus Anpassungen geben, ohne dass die Konzeption wesentlich beeinflusst wird. Oft entwerfe ich auch für die konkrete Raumsituation eine entsprechende Arbeit. Ich denke zum Beispiel an die Ausstellung KREUZ, KIENITZER im Studio der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, für die ich eine Arbeit plante, die so im Raum installiert war, dass sie von den Besuchern überschritten werden musste, um die dahinter positionierten Papierarbeiten betrachten zu können. Das „Betreten“ war in diesem Falle ein wichtiger Bestandteil der Wahrnehmung der Schamottesteine als Weg zwischen zwei Orten.

Unterschiedliche Materialien haben in der heutigen Zeit auch unterschiedliche politische Dimensionen. Lässt sich deine Kunst politisch lesen? Ich denke zum Beispiel an deine geflochtenen Stoffobjekte, die an der Wand oder im Raum positioniert sind.

Wenn man politisch beeinflusste Situationen in ihrer Wirkung auf den einzelnen Menschen hin untersucht, die persönlichen Empfindungen und dem Ringen damit, dann kann man die Schnürung und Bindung der Stoffe mit Draht so lesen. Auch die rußschwarzen Verfärbungen der Schamottesteine und die Holzkohle lassen politische Bezüge zu. Ich habe das in Gesprächen mit Ausstellungsbesuchern oft festgestellt, ohne eine politische Lesbarkeit originär zu forcieren. Diese Möglichkeit beruht auf meinem Anspruch, das Material so ernst zu nehmen, dass es nicht einseitig meine Sicht verkörpert, sondern seine selbstgegebenen erzählerischen Aspekte behält, die dem Sehenden Raum für eigene Deutungen lassen.

Das Gespräch führte Michelle van der Veen.

Blick ins Buch

Winkler

 

Publikation: musée des matériaux, Oktober 2015.
herausgegeben Dr. Elena Korowin und Hendrik Bündge,
mit Texten von Dr. Andreas Beitin, Ferial Nadja Karrasch und Dr. Elena Korowin.
Gestaltung: Antonia Huber, London

ISBN: 978-3-7356-0170-4

 

 

 

 

Zum Künstler

Sebastian Winkler in seinem Atelier | Foto: Katrin Lautenbach

Sebastian Winkler in seinem Atelier | Foto: Katrin Lautenbach

 

Sebastian Winklers (*1979 in Heilbronn) sensible Werke ziehen den Betrachter in ihren Bann. Von einer rätselhaften Atmosphäre umgeben, bilden sie ebenso poetische wie erzählerische Gefüge – die Grenzen zwischen Gegebenem und Vorgestelltem sind fließend. Seine erste Monografie zeigt seine Arbeit der letzten 5 Jahre. Sebastian Winkler lebt und arbeitet in Karlsruhe.

www.sebastianwinkler.net

 

 

 

 

 

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