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Hecho En Socialismo | Interview mit Christoph David Drange

Deine Aufnahmen für „Hecho En Socialismo“ entstanden im Jahr 2013. Warum warst du ausgerechnet in Venezuela?

Ich lebte schon einmal mit 19 Jahren für ein Jahr in Südamerika und bin dort in viele Länder gereist. Seitdem hat mich der Kontinent fasziniert und ich habe mich oft gefragt, wie es in Venezuela aussieht. Das Land wird einerseits sozialistisch regiert und besitzt gleichzeitig eines der höchsten Ölvorkommen der Welt. Ich glaube jeder hat ein gewisses Bild – ob zutreffend oder nicht – vom Sozialismus und sozialistischen Staaten, sei es z.B. Kuba oder die ehemalige DDR. Aber von Venezuela hatte ich keine Vorstellung und wollte mir ein Bild machen.

 

War dir bereits bei deiner Anreise klar, dass aus dem Material der 6 Wochen Aufenthalt ein Kunstprojekt werden soll?

Dass es zweieinhalb Jahre später zu einer Buchveröffentlichung kommen würde, hatte ich mir damals nicht erträumt. Aber so hatte ich auch keinen Druck und ich konnte unbefangen fotografieren. Die Bilder erfüllen zudem keinen journalistischen Zweck, sondern sind eine Mischung aus intuitiver Beobachtung und dokumentarischer Aufzeichnung. Trotzdem hatte ich von Anfang an die Vorstellung, das Projekt groß und vielseitig darzustellen, und deshalb kam auch schon während der Reise das Buch als Medium in Frage.

 

Deine Bilder zeichnen ein sehr widersprüchliches Bild des offiziell sozialistischen Landes. Man sieht amerikanische Markenprodukte und Konsumtempel neben katholischen Heiligenbildern und unberührter Natur. Was war dein persönlicher Eindruck vor Ort?

Venezuela verfügt über keine große Binnenwirtschaft und importiert einen Großteil seiner Güter. Obwohl das Angebot internationaler Konsum- und Markenartikel, im Vergleich zu unseren Verhältnissen und denen der Nachbarländer Venezuelas, überschaubar ist, steht es trotzdem im starken Kontrast zu der offiziellen Politik des Landes und der regen Knappheit an im Land produzierten Gütern. Diese Güter werden durch den Warenschmuggel ins Ausland noch knapper, was den Kontrast weiter verstärkt. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, beobachtete ich bei den Menschen oft eine starke Neigung zu westlichen Produkten, zu technologischem Fortschritt und einen Wunsch nach individuellem Wachstum.

 

„Hecho En Socialismo“ ist dein erstes Buch. Wie wichtig ist dir das Medium für deine Arbeit und wie hast du den Prozess der Produktion im Verlag erlebt?

Das Medium Buch ist ein Geschenk für die Fotografie. Anders als bei anderen Kunstformen, wie z.B. Malerei oder Installation, dient das Buch der Fotografie nicht nur als Reproduktion und Verweis auf das eigentliche Werk. Ein Fotobuch ist ein eigenständiges Medium, das thematisch als geschlossen gelten kann. Der Kerber Verlag stand mir während der gesamten Planungs- und Produktionsphase von „Hecho En Socialismo – Socialismo Today in Venezuela“ sehr unterstützend und hilfreich zur Seite, ohne mir inhaltliche Vorgaben zu machen oder mich einzuschränken.

 

Gemeinsam mit dem Buch erscheint auch eine limitierte Collector’s Edition des Buches [ein signiertes Buch + limitierter, signierter Druck] mit drei unterschiedlichen Motiven. Was ist das Besondere an genau diesen drei Motiven?

Was mir besonders gut an den Bildern gefällt ist, dass es drei voneinander sehr unterschiedliche Motive sind, die wegen ihren Farben und den Dingen, die sie abbilden, nicht den Eindruck erwecken, Bilder aus einem sozialistischen Land zu sein, obwohl sie es sind.

 

Würdest du uns verraten was dein nächstes Projekt ist?

Seit ungefähr zwei Jahren arbeite ich an einem Projekt über Autounfälle.

 

Kannst Du uns genaueres zu dem Projekt über Autounfälle sagen? Wie dürfen wir uns das vorstellen? 

Um das Projekt zu fotografieren, besuche ich spezielle Car Parks für Unfall-Autos, die sich noch für den Weiterverkauf nach Ost-Europa oder Afrika eignen –angeblich ist das ein riesiger Markt.
Grund für das Projekt ist, dass ich mich seit 2010 stark mit Zeichen der modernen Konsumkultur beschäftige. Dabei untersuche ich verschiedene Bereiche der Massenindustrie, ihre Kultur und Ästhetik, um die Beziehungen zwischen Menschen und ihrer selbstgestalteten Umgebung zu portraitieren.
Ich untersuche die Unfallfahrzeuge fotografisch sowohl nach konkreten, wie abstrakten Aspekten. Es entstehen Stillleben und Nahansichten von Karambolagen. Ich will Bilder machen, die Spuren von Benutzung und dem Resultat eines Ereignisses zeigen. Dabei ist die Fotografie als Medium immanent, weil sie Zeit verortet, indem sie einen Ausschnitt der Realität abbildet. Autos (so wie viele technische Objekte) sind sowohl Gebrauchsgegenstand, als auch Objekt der Begierde. Eine Kombination aus Werbung, Fetisch und Konsumverhalten. Aber ungleich vielen anderen anthropogenen Dingen sind sie Ausdruck von Geschwindigkeit, Aggression, Rausch, Drama und Tod.
Der Autounfall ist die Summe dieser Aspekte. Ich begegne ihm sowohl mit einem direkten, analytischen Ansatz, als auch aus einer nahen, abstrakten Perspektive

 

Publikation: Hecho en Socialisme, September 2015.
herausgegeben von Christoph David Drange,
mit Texten von Peter Funken.
Gestaltung: Christoph David Drange.

ISBN: 978-3-7356-0096-7

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