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IT IS NOT TOO LATE TO REMEMBER WHO I AM

(Auszug aus: „Dorothy Iannone. This Sweetness Outside of Time“, Kerber Verlag 2014, S. 9-21).

Als Dorothy Iannone 1976 als Gast des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Berlin kam, war sie Mitte vierzig und lebte seit 1967 in Europa. Die längste Zeit – von 1968 bis 1974 – hatte sie in Düsseldorf verbracht, wo ihr damaliger Partner Dieter Roth eine Professur innehatte. Als sie sich für das DAAD-Stipendium bewarb, wohnte Iannone gerade in Südfrankreich. […]

Dorothy Iannone erreichte Berlin als gestandene Künstlerin. Sie hatte ein abstrakt-expressives Frühwerk hinter sich, verschiedene Künstlerbücher und Multiples produziert, die ihr ureigene Form der geschriebenen und gezeichneten Bilderzählung etabliert und seit Anfang der 1970er-Jahre Gesang und Videofilm in ihre Kunst integriert. Die (an anderer Stelle noch ausführlicher zu behandelnde) Thematik ihrer Kunst, alltägliche intime Dialoge, Sehnsucht, Begehren, die Idealisierung des Geliebten mit der Haltung einer sexuell offensiven und selbstbewussten Frau vorzutragen, war – trotz Pop-Art und sexueller Revolution – in Kunst und Gesellschaft neu und offenbar anstößig. Iannone ging damit weit souveräner um als die meisten ihrer frauenbewegten Geschlechtsgenossinnen, die, mich selbst eingeschlossen, mit Büchern wie Verena Stefans Häutungen oder Anja Meulenbelts Die Scham ist vorbei ins Bett gingen und erst einmal Abschied vom „Märchenprinzen“ nahmen.
Die Aufarbeitung der historischen Kunst und die Sichtung und Würdigung zeitgenössischer Positionen von Frauen hatten in der Bundesrepublik gerade erst begonnen.

Westberlin war 1977 Schauplatz der ersten Überblicksausstellung Künstlerinnen International 1877– 1977, die von einer Gruppe Kunstpraktikerinnen und Wissenschaftlerinnen für die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) erarbeitet worden war. In diese Schau hätte Dorothy Iannone hineingehört, an die Seite von Judy Chicago, Martha Rosler, Louise Bourgeois, Eva Hesse und Helen Frankenthaler. Doch die Gelegenheit wurde vertan. […]

Dorothy Iannone

   „Wenn keiner treu Dir bliebe
      Ich bleib Dir ewig grün
      Du meine alte Liebe
      Berlin bleibt doch Berlin“
Die Zeilen dieses Schlagers, einst von Marlene Dietrich gesungen, nahm  Dorothy Iannone 1975 in Südfrankreich mit einem Kassettenrecorder auf.  Während sie sang, masturbierte sie bis zum Orgasmus und verlieh ihrer  Erregung über die Zusage des DAAD-Stipendiums eine intime wie    musikalische Form. Die bemalte Singing Box Berlin bleibt doch Berlin von 1979 mit diesem Stück ist heute Teil der Schenkung Mike Steiner im Hamburger Bahnhof.

Dorothy Iannones großes Thema ist und bleibt, vielfach ausgesprochen, die Liebe als Überschreitung, die auch Liebe zu Berlin oder Selbstliebe sein kann.

Die Gemälde, Bilderzählungen, Texte und Bücher dieser kompromisslosen Vertreterin der sexuellen und intellektuellen Emanzipation nicht nur der Frau speisen sich vorwiegend – aber nicht nur – aus dem eigenen Leben. Trotz dieser autobiografischen Durchdringung ist jedoch unübersehbar, dass Iannones Darstellungen der geschlechtlichen Vereinigung von Frau und Mann eine mystische Dimension besitzen, die von einer geistigen wie körperlichen Einheit der Gegensätze ausgeht und nicht zuletzt eine kosmologische,
emphatische Weltumarmung meint. Ihre Bildwelt ist in der Kulturgeschichte verankert und interpretiert auf eine moderne, persönliche Weise Aspekte des Buddhismus und Tantrismus sowie Traditionen christlicher Ekstatik, etwa aus dem Barock des 17. Jahrhunderts. Insbesondere seit den 1990er-Jahren stellt Dorothy Iannone den Aspekt der ekstatischen Einheit der Gegensätze im Buddhismus, gedacht im Bild von Frau und Mann, in den Mittelpunkt ihres Werks. […]

Über die Künstlerin
In der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nimmt die 1933 geborene US-Amerikanerin Dorothy Iannone eine besondere Stellung ein. Ihr Werk vereinigt Malerei und Bilderzählung, autobiografisches Schreiben und Filmen. Seit den 1960er Jahren gilt sie als eine Pionierin im Kampf gegen Zensur, für freie Liebe und weibliche Sexualität.

 

Über die Autorin

Annelie Lütgens ist seit 2011 Leiterin der Grafischen Sammlung der Berlinischen Galerie und Kuratorin der Ausstellung ”Dorothy Iannone – Retrospektive der Gemälde, Objekte, Bücher und Filme 1959-2014“ (21.02.-02.06.2014).

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