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Kunst als Spurensuche im Schatten des NSU

Sebastian Jung versammelt in seinem Buch “Winzerla” Erinnerungen an die Plattenbausiedlung, die als Herkunftsort der drei NSU-Mitglieder bekannt wurde. Den Ergebnissen seiner Recherche stellt er Zeichnungen aus dem NSU-Prozess gegenüber, die er 2014 vor Ort anfertigte.

Obwohl wir heute so viel über die Geschichte des rechtsterroristischen NSU wissen, bleibt das Gefühl, dass sie unverständlich, ja letztlich unerklärbar bleibt. Wenn aber politische Erklärungsmuster an ihre Grenze stoßen, richtet sich vermehrte Aufmerksamkeit auf die Möglichkeiten der Kunst. Ihre Stärke ist zwar nicht, für restlose Aufklärung zu sorgen – vielmehr tendiert sie dazu, alles noch komplizierter zu machen als es ohnehin schon ist. Aber sie vermag neue Perspektiven zu eröffnen.

Aufgewachsen ist Sebastian Jung in Winzerla, jener zu Jena gehörenden Plattenbausiedlung, die als Herkunftsort der drei NSU-Mitglieder bekannt wurde. Hier hat er in den 1990er Jahren, als die Jugendlichen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sich radikalisierten, seine ersten zehn Lebensjahre verbracht. Sein Rückblick auf Winzerla ist also der Blick eines Kindes. Und Kinder schauen absolut unvoreingenommen auf die Welt, die sich vor ihnen auftut.

Als Künstler hat Sebastian Jung sich die Begabung zum kindlichen Blick bewahrt. In diesem Buch unternimmt er eine künstlerische Spurensuche. Fotos und Zeichnungen, Skulpturen und Texte umkreisen gemeinsam ein Stück städtischen Lebensraums, erzeugen dabei eine vage Atmosphäre, die nicht eindeutig negativ ist, aber etwas diffus Unheimeliges hat. „Irgendetwas stimmt da nicht“, diesem Grundgefühl seiner Kindheit verleiht Sebastian Jung ästhetischen Ausdruck. Seine Werke machen nicht nur individuelle Erinnerung als Beitrag zur Geschichtsaufarbeitung verfügbar, sondern ermöglichen auch einen empathischen Zugang zur Geschichte.

Text von Verena Krieger

Über den Künstler
Sebastian Jung (geb. 1987) studierte Kunst und Gestaltung an der Bauhaus-Universität Weimar und schloss 2013 mit dem Design-Diplom ab. Ausstellungen u. a. in der Kunstsammlung Jena, an der Humboldt-Universität zu Berlin und im Theaterhaus Jena. Jung lebt und arbeitet in Jena.

Publikation
Sebastian Jung: Winzerla”, herausgegeben von Jenaer Kunstverein e. V. und Verena Krieger, 92 S., 56 Abb., Schweizer Broschur mit offener Fadenheftung, Kerber Verlag 2015.

Ausstellung
„Sebastian Jung: Winzerla – Kunst als Spurensuche im Schatten des NSU“, 24.4.–29.5.2015, Jenaer Kunstverein e.V.

Weitere Artikel
Die Dämonen von Winzerla (4.6.2015, taz.de)

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