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Magnetfelder | 5 Fragen an Zuzanna Skiba

Zuzanna Skiba im Atelier | Foto : Katja Bilo, 2016

Zuzanna Skiba arbeitet seit 30 Jahren zu dem Thema „Das Verortete Verlangen – Kunst & Kartografie“. Das Grundthema ihres Werkes ist der kartografische Zeichenschlüssel der Geländeschraffur. Ihr Werkkomplex basiert auf Erinnerungen und Erfahrungen, inneren und äußeren Landschaften, die sich ständig verändern können – es handelt sich um eine mentale Kartografie, in der die Ansicht auf die Landschaft sich in ihrer Distanz zu einem sichtbaren, arbeitenden Magnetfeld verdichtet. Im Fokus ihres ersten Buches stehen die letzten zehn Schaffensjahre abgerundet durch einen kurzen Gedichtzyklus des in Paris lebenden Lyrikers Jochen Winter.

Seit 25 Jahren beschäftigen Sie sich mit dem Thema „Das Verortete Verlangen“. Was ist darunter zu verstehen?

SK: Das Thema habe ich zu meiner Ausstellungsreihe Das verortete Verlangen_Kunst & Kartographie entwickelt. Es ist eine kuratorische Tätigkeit, zu der ich erstmals 2008 von dem innovativen Projektraum arttransponder in Berlin und speziell von Tatjana Fell eingeladen worden bin. Die Ausstellung wurde ein voller Erfolg, deshalb habe ich danach angefangen, mit starken internationalen Künstlerbeiträgen und theoretischem Begleitprogramm zu diesem Thema zu kuratieren. Ich finde es reizvoll, als gelernte Kartographin, Künstlerin und Kuratorin auf andere Arbeiten zu schauen und sie mit anderen zusammenzubringen. Schon als ich mit dem Thema anfing, wurde mir klar, dass ich mich bereits seit meiner Ausbildung 1985 mit dem Grundgedanken des verorteten Verlangen: „Da will man hin und träumt sich den Weg“ extrem auseinandersetze. Denn wenn man weiß, wo ein Schatz liegt, wird der Weg sichtbar.

Sie beschreiben Ihre Serien als „mentale Kartographie“, die auf Ihren eigenen Erlebnissen basiert. Wie lassen sich subjektive Ereignisse in Karten übersetzen?

SK: Das ist der Urgedanke jeder Karte. Das, was man und wo man es erlebt hat, wird festgehalten. Man könnte ganz konkret und ganz einfach sagen, ich gehe nach links, dann zeichne oder male ich mit dem Pinsel nach links. Ich gehe nach rechts, dann ziehe ich meinen Pinsel nach rechts. Das, was mein Körper macht, mache ich mit dem Stift. Diese Methode verbinde ich mit meinen tatsächlichen täglichen Fußwegen, aber auch mit meinen Gedanken. Im Grunde genommen, gibt es keinen Stillstand und das beschäftigt mich: dieses Innere, ebenso die äußeren Wege der Physis. Das nenne ich die „mentale Kartographie“.

Wenn man sich aber explizit der Wissenschaft widmet, ist eine Karte auch eine Notiz mit zusammengefügten Gedankenskizzen des Kartographen und Geodäten. Schauen Sie sich historische Karten dazu an, die sind voll mit Erzählungen! Etwas wusste man, aber vieles nicht, das hat man sich dann dazugedichtet. Wichtig scheint mir, hier zu erwähnen, dass in früheren Zeiten die Kartographie als eine große Kunst betrachtet wurde, sie wurde manuell und mit großer Sorgfalt umgesetzt. In unserer Zeit wird sie in die Geographie und Geodäsie immer stärker als reine Informationsplattform eingebettet. Der Beruf des Kartographen ist heute dadurch ausgestorben – heute nennt man sie Geoinformatiker. Die Anerkennung findet aber erfreulicherweise wieder stetig mehr Bedeutung in der bildenden Kunst.

Wissen Sie, die Sicht auf die Welt ist und bleibt doch immer eine philosophische, psychologische und auch religiöse Herausforderung, und um zu den subjektiven Ereignissen zurückzukommen: Die mentale Seite der Kartographie ist natürlich nicht sichtbar, aber dennoch wirksam.

Warum das Buch zu diesem Zeitpunkt?

SK: Das ist mein erstes umfassendes Buch. Ich habe etliche Gruppenkataloge, aber ich hatte noch nichts Eigenes, Konzentriertes. Nach dem Tod meiner Eltern kam der Gedanke ein Buch zu machen ganz leise auf.

Nach einer stark traditionellen Einbindung durch die Bestattungszeremonien in der Ukraine, Polen und Deutschland spürte ich plötzlich intensiv die dreifachen Wurzeln meiner Familie, meiner Herkunft und unleugbar auch zu meinen Arbeiten. Als junger Mensch schätzt man vieles nicht bewusst, man findet vieles selbstverständlich.

Durch die stark emotionalen, melancholischen Lieder in der Kirche und durch das Schmuggeln der Asche meines Vaters über die Landesgrenze in die Ukraine, aber auch durch das unglaublich viele Weinen mit der Familie – und damit der kompletten Auflösung des eigenen Körpers und der Verbindung mit dem Geist und dem Toten – erfuhr ich eine starke Vorstellung meiner Arbeiten im Kopf. Es sind ja immer Strömungen, ein sich Ziehen und Wenden. Übrigens stehen diese Eigenschaften für das Bild eines „Magnetfeldes“. Daher auch der Titel des Buches.

Die Fotografin Katja Renner, mit der ich gut befreundet bin, hat mich mehrmals im Atelier besucht. Sie dokumentierte den Prozess des Arbeitens zu dieser Zeit fotografisch. Viele Fotos aus dieser intimen Phase sind im Buch enthalten. Dafür bin ich Katja sehr dankbar.

Ebenso ist meine Begegnung mit Jochen Winter sehr entscheidend gewesen. Als ich 2015 zu einer Lesung des Lyrikers in einem privaten Literatursalon in Berlin Wilmersdorf eingeladen war und seine Gedichte „Materie“ und „Spuren im Unermesslichen“ gehört habe, wusste ich sofort: Wir machen ein Buch zusammen. Ich lud ihn ein, einen Lyrikzyklus für mein Buch zum Thema „Magnetfelder“ zu schreiben. Während der Buchproduktion über den Zeitraum eines Jahres entstand eine wortstarke, künstlerische Korrespondenz mit Jochen, der in Paris lebt. Und so schlossen sich die Kreise.

Titelmotiv von Zuzanna Skibas Buch „Magnetfelder“. (c) Zuzanna Skiba

Titelmotiv von Zuzanna Skibas Buch „Magnetfelder“. (c) Zuzanna Skiba

 

Ihr Buch heißt Magnetfelder und präsentiert Arbeiten aus den letzten zehn Jahren. Wie werden aus mentalen Karten ganze Magnetfelder?

SK: Ja, das ist eine gute Frage, ich weiß es selbst manchmal nicht so genau. Deshalb arbeite ich, um es zu erfahren. Es ist immer ein Herantasten an die Situation auf der Leinwand. Ich habe meine Idee von den Eigenschaften eines Magnetfeldes: der Anziehung und der Kraftwirkung vom Plus und Minus. Ich fange einfach an, ohne einen konkreten Plan. Die Striche aus der kartographischen Legende für die Geländeschraffur, die sich nicht berühren, aber doch ein Ganzes ergeben. Man könnte auch sagen: Durch die Nichtberührung des immer gleich großen Schraffurstriches bekommen die Linien den Antrieb sich zu formen. Diesen Gedanken kann ich stundenlang, tagelang verfolgen. Oft stelle ich mir die Frage, was hat das Magnetfeld mit der Malerei und der Seele zu tun?

So entstanden zum Beispiel fünf bis sechs Meter große Arbeiten. Am intensivsten sind die Arbeiten, in denen ich mich absolut verliere und sagen wir mal meditativ reinarbeite. Es gibt allerdings niemals eine Korrektur, kein Radiergummi, keinen überzeichneten Strich. Dies würde den Fluss enorm stören. Es geht immer weiter.

Sie haben zunächst eine Ausbildung zur Kartographin absolviert, kurze Zeit als Lithographin gearbeitet und danach Kunst studiert. Inwiefern hat Ihre Ausbildung Ihren Kunstansatz geprägt und beeinflusst?

SK: Diese Zeit der Ausbildung 1985 beim Katasteramt in der kartographischen Abteilung im Rathaus Bielefeld möchte ich nicht missen. Es war noch die Zeit der Ziehfeder, Lupe, Schaber und Ätztusche, alles noch manuell. Das war etwas sehr Besonderes. Wir waren als Auszubildende in der Presse, wurden stark von unserem Ausbilder Herrn Michael Mertins unterstützt und trugen beim Zeichnen weiße Kittel. Mein Lieblingsgebiet war die Geländeschummerung. Das bedeutet, dass man aufgrund der blauen Höhenlinien mit feinem Graphitstaub und einer Estombe, einem Stift wie aus dicht gedrehtem Löschpapier, also einem Papierwischer, eine räumliche Situation darstellen sollte. Das mochte ich, und es fiel mir leicht, einen Blick auf das Papier zu werfen und schnell die Täler und Höhen zu deuten. Von dieser harten Schule profitiere ich bis heute. Wenn man sich meine Arbeiten anschaut, dann ist es eine Kombination von absoluter Genauigkeit und expressivem Gestus.

Aber jetzt zurück zur Ausbildung: Im Büro saßen wir zu viert; zusammen mit dem Maler und Kartograph Werner Drimecker. Herr Drimecker wurde mit den Jahren mein persönlicher Mentor. Er hat mich stark im Gespräch über die Kunst geprägt. Wenn ich ihn besuchte, saß er immer in seinem schwarzen Eames-Sessel, in seiner original 1970er-Jahre-Atelier-Wohnung, mit coolen pechschwarzen Möbeln und wir philosophierten über die Malerei. Mit ihm ging ich in die Kunsthalle, wir wälzten Kunstbücher. Er war für mich wie ein Großvater, den ich nie hatte, ein Berater und Kunstexperte zugleich.

Leider konnte unser Amtsleiter das Versprechen der betrieblichen Übernahme nicht einlösen. Für mich war dann klar: Ich studiere Kunst. Herr Drimecker half mir bei der Bewerbungsmappe und es klappte. 2013 starb Herr Drimecker und bis heute habe ich noch einen engen Kontakt zu seiner Frau Ulla Wulff, die sich sehr liebevoll um den Nachlass kümmert.

Sie haben bereits in Bielefeld, Darmstadt und Berlin gelebt, kommen ursprünglich aus Pommern und haben ukrainische Eltern. Wie wichtig sind konkrete Orte für Ihre kartographische Kunst? Hat sie sich durch einzelne Orte verändert?

SK: Ich kann es nicht ganz konkret an bestimmten Orten festlegen. Wenn man an vielen Orten der Welt war, dadurch extreme Situationen erlebt und Wurzeln geschlagen hat, dann spiegelt sich das selbstverständlich in der künstlerischen Arbeit wider. Als Künstler reagiert man natürlich darauf. Ich bin als Aussiedlerkind in Polen am Meer geboren. Meine Familie stammt aus der Ukraine (beide Eltern dort geboren). Nun,die Präsenz der Sehnsucht meiner Eltern nach dem neuen Land, wiederum die Sehnsucht und der Traum nach der Heimat, die Angst alles zu verlieren und diskriminiert zu werden: Natürlich hat mich das stark geprägt. Wer soll das nicht besser darstellen als ein Künstler? Ich bin durch drei Länder, drei Sprachen und drei Glaubensgemeinschaften geprägt worden: den Protestantismus, das Judentum und den Katholizismus. Wir haben als Aussiedlerfamilie in Deutschland erst einmal zweieinhalb Jahre in unterschiedlichen Auffanglagern gelebt, in Bielefeld fanden wir dann letztendlich einen festen Standort.

Nach meinem Studienaufenthalt in Groningen, NL, lebe ich seit 1995 mit kleinen Unterbrechungen in Berlin. Ich bin davon überzeugt, dass jede Stadt ein Thema hat und jeder Mensch auch. Die Hauptstadt Berlin hat das immer wiederkehrende Thema: „die Grenze und ihre Möglichkeiten“, und komischerweise besteht eine starke authentische, persönliche – wie künstlerische – Verbindung zu meiner Person. Ich lebe in Berlin in der Nähe der ehemaligen Ost-West-Grenze, und soweit ich mich erinnern kann, hat meine Familie größtenteils auch immer an einer topographischen Grenze gelebt. Diese topographische Situation ist immer ein Ort einer Möglichkeit, eines Versprechens „rüber“ zu können, um in eine andere Situation einzutauchen. Es war immer die rote Linie, auf der Karte, die mich prägte. Interessant ist an meinen Arbeiten – aber eigentlich muss da ein Kunsthistoriker einmal genauer schauen –, dass ich immer von oben mit dem Blick auf die Welt herangehe. Kartographisch gesagt heißt das, der Maßstab wird immer größer, am besten fasst es der Gedanke, den ich für eine Rauminstallation in Tirana, Albanien, erarbeitet habe: „The sky doesn‘t know a border.“

Im August nehmen Sie an einer internationalen Kunstexpedition nach Finnmark an die nördlichste topographische Stelle in Norwegen und Grönland teil. Was ist dort geplant?

SK: Ja, darauf freue ich mich riesig. Die Einladung erfolgte durch Prof. Knut Ove Arntzen für Ästhetik und Theaterwissenschaften aus Bergen, Norwegen. Im Vorfeld muss ich sagen, dass wir aufgrund der Arbeit bereits eine lange Freundschaft pflegen. Er kommt regelmäßig nach Berlin mit seinen Studenten, und wenn er da ist, besucht er mich in meinem Atelier und wir sprechen über meine neusten Werke. Das Thema der Runde ist meistens die Landschaftsdramaturgie. So kam es, dass er mich für diese Expedition eingeladen hat. Unter anderem mit dem rumänischen Fotografen Dan Mihaltianu und weiteren Kollegen aus dem Theater werden wir für das dreitägige Kunstfestival LULLELI vom 10. bis 13. August arbeiten, siehe auch http://www.lulleli.com. Konkretes weiß ich bis dato noch nicht. Fakt ist, dass ich auf eigenen Wunsch hin erst einmal zwei Wochen vorher alleine dort auf einer kleinen Insel in einer Hütte leben werde. Bevor alle anderen kommen, möchte ich die Landschaftssituation auf Ingøy erforschen, den Himmel, das Meer und die Erde, um für das Festival Ergebnisse in Form von Wort und Bild liefern zu können. Es sind Diskussionen, weitere Ausstellungen und Publikationen geplant. Meine Arbeit wird sich mit der dortigen Landschaft, aber auch mit dem besonderen Sonnenlicht beschäftigen. Was ich auch noch nie erlebt habe, sind die berühmten Weißen Nächte, das wird sehr spannend. Ich werde berichten!

Blick ins Buch

Publication: Zuzanna Skiba. Magnetfelder, März 2016
herausgegeben von Zuzanna Skiba,
mit Texten von Zuzanna Skiba, Christoph Tannert, Dorothée Bauerle-Willert, Susanne Pocai und Jochen Winter.
Gestaltung von Kraft plus Wiechmann, Berlin.

ISBN: 978-3-7356-0204-6

 

 

Das Interview führte Michelle van der Veen.

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