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Rezension „Existence Doubtful“

Die Zeit scheint beim Betrachten der Fotografien Ville Lenkkeris stehen zu bleiben. In sich ruhend suggerieren die Aufnahmen eine vermeintliche Ewigkeit. Der ausführliche und sehr persönliche Essay des finnischen Photographen offenbart jedoch, dass es weniger um das zeitlose Verharren eines Moments, als um das Spannungsfeld zwischen dem Hier und Jetzt, zwischen einer gewaltvollen Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft geht. Eine bedeutsame Fotografie – so Lenkkeri – entstehe aus der Anwesenheit und Erfahrung des Fotografen und trägt dessen Spuren. Die Fotografien seines dritten Buches „Existence Doubtful“ tragen die Spuren von Einsamkeit, Isoliertheit und Irritation. Die Lektüre des Essays bestätigt, dass es sich hierbei nicht nur um Aufnahmen und Erfahrungen geografisch entfernter Orte, sondern vor allem um Spiegelbilder der Innenwelt des Photographen und seiner Suche nach dem Ungewissen handelt. Als Leserin und Betrachterin von „Existence Doubtful“ bin ich mir unsicher, ob die Photographien Ville Lenkkeris den Essay begleiten oder umgekehrt. Es ist ein in sich stimmiges und sich ergänzendes Gesamtwerk, in dem die Bilder für sich ausdrucksstarke Geschichten und gefühlvolle Momente erzählen. Ihre gesellschaftskritische Sprengkraft wird für mich als Rezipientin jedoch erst durch die Lektüre des Essays richtig bewusst.

The Land of Fire I

The Land of Fire I

Die Zeit scheint beim Betrachten der Fotografien Ville Lenkkeris stehen zu bleiben. In sich ruhend suggerieren die Aufnahmen eine vermeintliche Ewigkeit. Der ausführliche und sehr persönliche Essay des finnischen Photographen offenbart jedoch, dass es weniger um das zeitlose Verharren eines Moments, als um das Spannungsfeld zwischen dem Hier und Jetzt, zwischen einer gewaltvollen Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft geht. Eine bedeutsame Fotografie – so Lenkkeri – entstehe aus der Anwesenheit und Erfahrung des Fotografen und trägt dessen Spuren. Die Fotografien seines dritten Buches „Existence Doubtful“ tragen die Spuren von Einsamkeit, Isoliertheit und Irritation. Die Lektüre des Essays bestätigt, dass es sich hierbei nicht nur um Aufnahmen und Erfahrungen geografisch entfernter Orte, sondern vor allem um Spiegelbilder der Innenwelt des Photographen und seiner Suche nach dem Ungewissen handelt. Als Leserin und Betrachterin von „Existence Doubtful“ bin ich mir unsicher, ob die Photographien Ville Lenkkeris den Essay begleiten oder umgekehrt. Es ist ein in sich stimmiges und sich ergänzendes Gesamtwerk, in dem die Bilder für sich ausdrucksstarke Geschichten und gefühlvolle Momente erzählen. Ihre gesellschaftskritische Sprengkraft wird für mich als Rezipientin jedoch erst durch die Lektüre des Essays richtig bewusst.

A Forced Pose of Repentance

A Forced Pose of Repentance

Ville Lenkkeri lässt in „Existence Doubtful“ seine Leser_innen und Betrachter_innen nicht nur an seinen Reisen in die Antarktis und das Feuerland, sondern vor allem an seiner kritischen Auseinandersetzung mit den Erlebnissen vor Ort teilhaben. Dabei öffnet Lenkkeri immer wieder kleine Fenster zu seiner persönlichen Erfahrungswelt, die geprägt ist von Kindheitserinnerungen, aber auch von Zweifeln an der Richtigkeit aktueller globaler Entwicklungen und seiner Position als Tourist und Fotograf. Reflexionen über das eigene Handeln und seine Position als europäischer Fotograf sind eng an eine historische Aufarbeitung der frühen Neuzeit gekoppelt, die untrennbar mit den „Abenteuern“ und „Entdeckungen“ bekannter Seefahrer wie Ferdinand Magellan, James Cook, Francis Drake, Christopher Columbus u.a. verbunden ist.

Erasing the Southern Continent from Maps

Erasing the Southern Continent from Maps

Stilistisch wechselt Lenkkeri ohne Übergang von einem Absatz über Erfahrungen aus seiner aktuellen Reise zu einem Absatz mit historischen Ausführungen und vice versa. Auch die Zusammenstellung seiner Fotografien reicht von Aufnahmen während seiner Reisen, über abgelichtete Kolonialfotografien sowie Aufnahmen von musealen Ausstellungsstücken oder Archivmaterial. Auf diese Weise wird auf der einen Seite Lenkkeris ambivalente Position als Reisender und Fotograf aber auch als Entdecker und Sammler geografisch und kulturell entfernter Erfahrungen deutlich. Auf der anderen Seite stellt er klare Verbindungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit dar, deren koloniale Kontinuitäten in den heutigen Globalisierungs- und Homogenisierungsentwicklungen präsent sind. Dabei lässt sich nicht nur eine Kritik der weißen Eroberungs- und Sammelwut sowie des Kolonialismus herauslesen, sondern auch die damit gekoppelte Kritik an der Absurdität eines globalen Kapitalismus und damit verbundener Gier und moralischem Verfall.

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Night Falling over the Land of the Free

Trotz all seiner kritischen Darstellungen der See- und Eroberungsfahrten der frühen Neuzeit sowie seiner Reflexion über Verbindungen zu aktuellen Problemen und Ausmaßen der Globalisierung und des Kapitalismus verfällt auch Lenkkeri an einigen Stellen der Romantisierung, die sich aus eben jenen Kolonialklischees generiert. Doch auch das ist ein Zeichen mehr dafür, wie die während der frühen Neuzeit generierten Bilder und Vorstellungen des „Fremden“ dem heutigen Denken immanent sind.  Es liegt an uns, diese Bilder zu hinterfragen und zu dekonstruieren. Ville Lenkkeri geht im nicht-akademischen Bereich mit „Existence Doubtful“ einen großen Schritt in diese Richtung. Bild und Text bewegen sich dabei zwischen Abbild und Inszenierung, Erfahrung und Fiktion und animieren die Leser_innen und Betrachter_innen sich selbst mit den dargebotenen Themen auseinanderzusetzen und neu zu reflektieren.

Asking for Oblivion

Asking for Oblivion

Marianna Wegner studiert an der Humboldt-Universität zu Berlin den MA Afrikawissenschaften und an der Freien Universität Berlin den MA Sozial- und Kulturanthropologie. Ihre Interessensschwerpunkte liegen in der Postkolonialen Theorie und kritischen Auseinandersetzung mit Selbst- und Fremdrepräsentationen innerhalb (Neo-)kolonialer Strukuren und Kontinuitäten. Außerdem beschäftigt sie sich mit dem Zusammenspiel und den Wechselwirkungen von Medien, Kunst, Religion und Gesellschaft (v.a. in Westafrika und der Diaspora) sowie mit dem Schaffen afrikanischer Photograph_innen und deren Positionierungen in globalen Photographiediskursen.

Ville Lenkkeri, Existence Doubtful, 208 Seiten, 105 farbige Abbildungen, Englisch, Kerber Verlag 2014.

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