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Vergangenheit und Gegenwart im Werk von Stephan Balkenhol

Stephan Balkenhol Autorenbild

 

von Nicole Fritz

Auf einem Platz steht seit Stunden regungslos ein Mann. Unbeeindruckt von dem Treiben um ihn herum, blickt der in schwarzer Hose und weißem Hemd Gekleidete gelassen und unberührt in die Ferne.  Passanten bleiben irritiert stehen und versuchen, das Geheimnis des Schweigenden zu ergründen. Nein, es handelt sich nicht um eine Skulptur von Stephan Balkenhol. Gemeint ist vielmehr der Tänzer Erdem Gündüz, der unlängst auf dem Taksim-Platz in Istanbul über viele  Stunden hinweg in schweigender Protestpose verharrte und so über Nacht als »stehender Mann« zur Ikone der Widerständler vom  Taksim-Platz wurde. Im »Standing Man«, dieser stillen und passiven Pose des Protestes, hat eine junge, aufgeschlossene Generation ein »Kollektivsymbol« für ihren Kampf um Freiheit und Demokratie gefunden.

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Stephan Balkenhol hat nichts dagegen, dass in der Presse schnell Verbindungen zwischen seinen Skulpturen und dem Protestler vom Taksim-Platz hergestellt wurden. Im Gegenteil, wie Erdem Gündüz seine Performance, entwickelte auch der deutsche Künstler seine skulpturalen Menschenbilder vor über dreißig Jahren aus dem Gefühl des Mangels an Gegenwart heraus. »Mit meinen stehenden Männern wollte ich etwas
schaffen«, so Balkenhol, »das wie ein Korrektiv wirkt in einer von Botschaften und Zeichen angefüllten Gegenwart. Wir werden durch Medien und Bilder ständig mit den verschiedensten Botschaften bedrängt. Alle wollen irgendetwas verkaufen oder vermitteln. Ich wollte ein Menschenbild machen, das keine eindeutige Botschaft hat, das eher wie eine ›Pause‹ dasteht.«

Wiederkehr des Körpers

Widerstehen durch Rumstehen, könnte man die Strategie von Balkenhol und Erdem Gündüz – salopp formuliert – auf einen Nenner bringen; eine Formel, die sicherlich auf beide Akteure zutrifft. Auch wenn Balkenhols Skulpturen zu Beginn der 1980er Jahre in einem anderen Kontext entstanden sind und keine mit Erdem Gündüz vergleichbare weltumspannende Protestwelle ausgelöst haben, provoziert haben sie die Kunstwelt damals, als sie die Bühne betraten, allemal.

»Bis heute sind die mir sehr gut im Gedächtnis geblieben«, erinnert sich die Künstlerin Mariella Mosler, die Ende der 1980er Jahre an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studierte, als Stephan Balkenhol dort seinen ersten Lehrauftrag hatte, »weil das so ein großer Schock war. Ein absoluter Schock. Diese riesigen Köpfe von Stephan Balkenhol, eine realistische Darstellung, wenn man so will, also nicht naturalistisch, aber realistisch. Die Figur und Ganzheit waren damals so fern wie aus einer anderen Zeit. Der Körper war ja geradezu ausgelöscht als Ort irgendeiner relevanten Aussage.«

Zu Beginn der 1980er Jahre, als die abstrakte Skulptur als einzig politisch korrekter Nachfolger einer durch die Nationalsozialisten missbrauchten figürlichen Denkmalsplastik galt, rehabilitierte Stephan Balkenhol aus dem Nichts ein am antiken Körper orientiertes »heiles« Menschenbild. Balkenhol überraschte damit nicht nur Mariella Mosler, sondern auch viele andere in der Kunstwelt. Durch die beiden Weltkriege war das Bild vom Menschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwertet worden. Wenn die Künstler im Deutschland der Nachkriegszeit, wie beispielsweise Joseph Beuys, überhaupt den Körper thematisierten, dann war dieser verletzt, fragmentiert und drückte nicht selten Leid aus.

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Stephan Balkenhol, der 1957 eine Generation nach Joseph Beuys geboren wurde und den Krieg nicht erlebt hatte, konnte unbelasteter an die menschliche Figur herangehen. Balkenhol war der Einzige in seiner Klasse, so sein Lehrer Ulrich Rückriem, der es verstanden habe, die Skulptur aus einer Form herauszuarbeiten und dabei sowohl die figurale Täuschung der Minimal Art mit einzubringen als auch die Abbildung des Menschen wieder zum Teil der Kunst zu machen. Dadurch, dass Stephan Balkenhol und andere Künstler seiner Generation wie beispielsweise Thomas Schütte oder Katharina Fritsch die menschliche Figur für die Bildhauerei in Deutschland wiedergewonnen hatten, brachten sie damit nicht zuletzt auch den Körper als Zentrum der individuellen  Wahrnehmung und des Bewusstseins von Neuem ins Spiel. Wie Erdem Gündüz, der später erklärte, er sei einem körperlichen Impuls gefolgt, als er sich spontan schweigend in die Menge stellte, stand auch bei Stephan Balkenhol die intime Introspektion am Beginn seines künstlerischen Schaffens.

Auszug aus: Stephan Balkenhol, Kerber Verlag 2014

Ausstellung: 12.4.–24.8.14, Kunstmuseum Ravensburg

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