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Maraka* mit Aatifi | Ein Künstlergespräch

Der Künstler Aatifi in seinem Atelier | Foto: Wolfgang Holm

Der Künstler Aatifi in seinem Atelier | Foto: Wolfgang Holm

*Maraka bezeichnet auf Paschtu ein sehr persönliches Gespräch, einen freien Austausch; Paschtu ist eine der beiden Amtssprachen in Afghanistan, die zweite ist Dari.

Deine skripturale Kunst basiert auf traditioneller Kalligrafie. Welche Rolle spielen die Buchstaben in deiner Malerei und Grafik?

Buchstaben sind für mich ein Teil total abstrakter Kunst zwischen den Menschen, Kunst für die Menschheit. Die Frage danach, welche Rolle sie für mich spielen und wie ich zur Kunst gekommen bin, da kann man auch einen Fisch fragen, wie er zum Wasser gekommen ist.

Mit sechs Jahren haben dich deine Eltern zu einem Meister der Kalligrafie geschickt, parallel zur Schule.

Dreimal in der Woche bin ich nachmittags dort hingegangen. Das war eine sehr große Schule in Kandahar. Dieser Meister war sehr bekannt und sehr streng. Ich bin erst einmal zu den Anfängern gekommen. Nach zwei, drei Wochen bin ich mit Fortgeschrittenen in Berührung gekommen und in Diskussionen über die Kalligrafie. Ich vertrat das Gegenteil von dem, woran sie glaubten. Ich war dafür, nicht so traditionell und technisch zu lernen.

Du hast also von Anfang an die Regeln in Frage gestellt?

Die Regeln stellen wir Künstler ständig in Frage. Regeln gibt es eigentlich nicht. Regeln werden von Menschen geschaffen. Und wir sind auch Menschen. Das bedeutet, das ändern wir. Was in meinem Bereich – in der Kunst – an Regeln existierte, das wollte ich selbst bestimmen.

Hast du zu diesem Zeitpunkt schon angefangen, Buchstaben zu verändern?

Ich habe Buchstaben verändert, ich habe meine Zeichnungen zerrissen, zur Erklärung, wie etwas anderes zu bewirken ist. Ich habe meine Mitschüler aufgefordert: „Kletter mal hoch in diesen Baum und guck mal runter auf diese zerlegten Formen am Boden, das ist ein andere Form der Kalligrafie – vergiss die Tradition“.

Das klingt nach einem distanzierten Verhältnis zur Tradition.

Ich bin in einer Kultur aufgewachsen, in der abstrakte Kunst total zu Hause ist – mit einer Tradition von mehreren hundert Jahren. In ganz Afghanistan, rings um mich, war alles abstrakt. Alles, was die Frauen in Kandahar mit der Hand nähten, bestand aus geometrischen Formen, Farben, Farbkombinationen. […] Diese Abstraktion war für mich viel wichtiger und schöner und interessanter als diese Tradition. […]

Was machte und macht deine Art von Kalligrafie im Vergleich zu der der klassischen Kalligrafen aus?

Sie zeichneten sehr viel traditionelle, akademische Formen. Ich habe die Formen im Groben vom Text befreit, aber noch nicht komplett vom Inhalt, nur von der allgemeinen Darstellungsweise.

[…]

Die Freiheit, die Kalligrafie zu verändern, hast du dir schon in Afghanistan genommen. Aber sie zu fragmentieren und radikal zu reduzieren, das hast du erst in Deutschland begonnen?

Das liegt daran, dass die ganze Welt zersplittert wird. Die ganze Welt ist geteilt, alles ist in Bewegung und dadurch, dass ich alles verlassen und total reduziert habe in meinem Leben, habe ich auch meine Kunst reduziert. Die Kalligrafie habe ich sehr weit weg auf ein anderes Terrain geführt. Ich habe diesen ästhetischen Formen die Ursprünglichkeit zurück gegeben, ohne Inhalt. Diese Ästhetik selbst muss das Thema sein, und diese kompositorische, abstrakte Verteilung, die die Menschen total offensiv berührt und die sie auf ihre Art und Weise interpretieren können. Der Ursprung ist drin, aber die Handschrift ist von mir und das ist schön.

[…]

Seit 2010 reist du wieder regelmäßig nach Afghanistan, nach Kabul. Mehr als 15 Jahre hattest du keine Möglichkeit dazu. Hast du deine alte Heimat vermisst?

Heimat existiert meist nur in der Erinnerung. Was bleibt, ist ein geografischer Ort, der sich in ständiger, natürlicher Wandlung befindet. Die beste Heimat ist somit die,  die man in sich trägt.

[…]

Was bedeutet die Einzelausstellung „News from Afghanistan“ im weltberühmten Pergamonmuseum für dich?

Das ist eine großartige Möglichkeit, ein einem Zentrum in Deutschland meine Arbeiten zu zeigen, wo sich die gesamte islamische Kunstgeschichte versammelt, und das in Verbindung zu setzen mit meiner aktuellen Position. Die Formate meiner Malereien sind sehr groß und ungewöhnlich. Ich freue mich!

In der Ausstellung trifft die Moderne auf altes Kulturgut. Gleich zu Beginn, im Aufgangsbereich zum Museum für Islamische Kunst im Pergamonmuseum Berlin, hängen große Malereien von dir in unmittelbarer Nachbarschaft zu historischen Schriftstelen der Sumerer.

Das ist eine sehr schöne Geschichte. Und im Mschatta-Saal stehen zwei großformatige Malereien in Magenta im Dialog mit einer Kalifenpalast-Fassade aus dem 8. Jahrhundert. Der Mschatta-Saal zeigt Geschichte, Architektur, handwerkliche Arbeit, das ist großartig. Für mich ist interessant, dass dieser Saal riesig ist, mit Oberlicht- und dagegen meine magentafarbenen Arbeiten zu stellen.

[…]

Kannst du zum Abschluss noch einmal in zwei Sätzen sagen, was für dich die Malerei bedeutet?

Malerei bedeutet heute und morgen und übermorgen das Gleiche. Malerei bedeutet Atmen und Luft und Essen und Wasser trinken. Man lebt doch davon, man braucht das. Am besten kommst du morgen noch einmal mit einem Lächeln vorbei und wir sprechen darüber…

 

Dieses Gespräch ist in voller Länge der begleitenden Publikation zur Ausstellung erschienen und wurde von Martina Bauer mit dem Künstler geführt. 

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Publikation: „News from Afghanistan“, Juli 2015.
herausgegeben von Martina Bauer,
mit Texten von Christine Dorothea Hölzig, Venetia Porter, Stefan Weber u. a.
Gestaltung: Frank Rothe, Büro für Grafische Gestaltung, Berlin

Ausstellung: News from Afghanistan, 3.7. – 18.10.2015, Museum für Islamische Kunst, Pergamonmuseum Berlin

 

One thought on “Maraka* mit Aatifi | Ein Künstlergespräch”
  1. […] Heimat und das Studium der Kalligrafie mit seinen Bildern zu tun, erzählte er bereits im Interview. Aber wo und wie arbeitet er? Um dieser Frage nachzugehen, durften wir ihn in seinem Bielefelder […]

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